Frühneuzeitliche Kabinettgläser aus dem Weserbergland
Ein Set von 14 Kabinettscheiben aus Glas wurde im Zuge von archäologischen Untersuchungen der Waldglashütte „Unter dem Hilsborn“ bei Grünenplan im Jahr 1997 geborgen. Der Fundort befindet sich im Landkreis Holzminden am Rand des norddeutschen Weserberglands. Die Hütte datiert in das 17. Jahrhundert [1] und umfasste u.a. zwei Glaswarenlager, auf deren Flächen verschiedene Schalen, Flaschen und Trinkgläserformen geborgen wurden. Des Weiteren konnten 28 Glättgläser, die teilweise aufeinander lagen, dokumentiert werden [2]. Diese Befundsituation deutet daraufhin, dass vermutlich auch die am gleichen Ort geborgenen Kabinettscheiben in einer Holzkiste verpackt oder in Stroh eingebunden waren, um sie für den Handel zu transportieren [3].
Nach der Bergung wurden die fragmentierten Kabinettgläser durch das Grabungsteam gereinigt und mit Klebestreifen provisorisch für die Dokumentation geheftet. Um die Gläser dauerhaft erhalten zu können und weiterführende Korrosionsprozesse zu reduzieren, wurden sie der HTW Berlin und dem Studiengang Konservierung und Restaurierung / Grabungstechnik für die restauratorische Bearbeitung übergeben.
Eingangs wurde neben der schriftlichen und fotografischen Dokumentation, eine Kartierung angefertigt. Diese verdeutlicht die vorliegenden Korrosionsphänomene, wie Gel- und Irisschichten sowie Verbräunungen, und die teils in mehrfacher Schichtung aufgebrachten Klebestreifen. Eine Heftung mit Klebestreifen geht mit folgender Problematik einher: bereits makroskopisch ist erkennbar, dass Sedimente, Stäube und Haare an dem Klebstoff haften. Weiterhin lösen sich die Heftungen unkontrolliert und führen zu mechanischen Beschädigungen der Glasfragmente. Letztlich altern die Klebestreifen, so dass sich der Klebstoff in die Glasoberfläche migriert. Entsprechend sollten die Klebestreifen aus konservatorischer Sicht am besten vermieden, an diesen Objekten zügig abgenommen werden.
Vor der Entfernung der Klebestreifen wurden mehrere Löseproben am Objekt angelegt. Diese zeigten, dass das Trägermaterial aus Polypropylen (PP) besteht, die Materialzusammensetzung des Klebstoffes konnte nicht ermittelt werden. Das Restaurierungskonzept sieht vor, dass die Klebestreifen mit einem Ethylalkohol-Wasser Gemisch (70:30) mit Hilfe einer Wattekompresse angelöst und im Anschluss vorsichtig mit der Pinzette entfernt werden. Während der Durchführung konnte unter dem Mikroskop beobachtet werden, dass es trotz minimalinvasiver Eingriffe zu einem Verlust der Originalsubstanz kommt. Die zum Teil locker aufliegende Irisschicht war hierbei ebenfalls gefährdet. Die finale Reinigung der Oberfläche von Sediment und Klebstoffrückständen wurde auf dieselbe Art durchgeführt. Erst nach diesen Arbeitsschritten konnte eine zweite Zustandskartierung erstellt werden, die das volle Ausmaß der Abbauprozesse zeigt.
Die Kabinettscheiben liegen fragmentiert vor. Um sie langfristig als Einheit zu sichern sowie ihr gesamtheitliches Bild für die Wissenschaft zu erschließen, sollten diese permanent gefügt werden. Hierfür wurde eine Kombination aus Aufbau- sowie Infiltrationsklebung angewandt. Für die Aufbauklebung wurde ein 20%iger PEMA Klebstoff gewählt, der doppelseitig auf die Bruchkanten aufgetragen wurde. Für die Infiltrationsklebung kam ein 25%iger PMMA Klebstoff zum Einsatz, der mit einer Kanüle in die Fugen injiziert wurde. Sämtliche Arbeiten wurden bei einer Raumtemperatur von um die 25°C durchgeführt, zum Abbinden der Klebungen wurden die Objekte im Digestorium gelagert.
Während die Kabinettgläser mehrheitlich vollständig vorliegen, wurde an einer Scheibe eine statische Ergänzung notwendig. Dafür wurden nach KOOB [4] dünne Folien aus PEMA gegossen, zu schmalen Streifen zugeschnitten, an den Rändern mit Aceton benetzt und schließlich mit Hilfe einer Pinzette in die Fehlstelle gesetzt.
Abschließend wurden die Kabinettscheiben je einzeln in eine verschließbare PP-Box verpackt. Die Boxen sind mit einer Grundplatte und die Scheiben fixierenden Keilen aus PE-Schaumstoff ausgekleidet. Der Schaumstoff ist mit Seidenpapier umschlagen. Letztlich werden die Gläser mit Streifen aus Seidenpapier zusätzlich in Position gehalten.
[1] Leiber 2018, 562
[2] Leiber 2018, 565
[3] Leiber 2018, 565